Medizinisches Cannabis

Heute wird medizinisches Cannabis in unterschiedlichen Formen angeboten. Von Cannabisblüten, Cannabisölen, Kapseln, Tabletten bis hin zu Mundspray. Alle diese Produkttypen haben jedoch eines gemeinsam: Sie enthalten entweder Teile der Cannabispflanze, Wirkstoffe aus der Pflanze oder synthetische Cannabinoide und werden zur Linderung von Krankheiten eingesetzt.

Indikationen für medizinisches Cannabis

Bei welchen Krankheiten kann medizinisches Cannabis als Medizin eingesetzt werden?

Medizinisches Cannabis kann in bestimmten Fällen eine Alternative bzw. Ergänzung zu zugelassenen Arzneimitteln sein. Die Behandlung mit medizinischem Cannabis kann ein Arzt nur dann verschreiben, wenn der Patient zuvor mit einem entsprechenden zugelassenen Arzneimittel behandelt wurde, die Ergebnisse der Behandlung aber unzureichend waren. In Deutschland kann medizinisches Cannabis nach Auffassung der kassenärztlichen Bundesvereinigunfür folgende Indikationen in Betracht gezogen werden. Dazu liegen Daten für eine Wirkung von medizinischem Cannabis vor. 1

Indikationen

Indikationen für medizinisches Cannabis

Chronische Schmerzen
Spastizität bei Multipler Sklerose und Paraplegie
Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie
Gewichtsabnahme und Appetitverlust bei HIV/AIDS – und Tumorpatienten
Schlafstörungen
Tourette-Syndrom

Im wissenschaftlichen Report der Techniker Krankenkasse werden zudem als weitere mögliche Indikationen Epilepsie, Angststörungen und ADHS genannt. 2

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Wirkung und Darreichungsformen

Wie wirken THC und CBD?

Die im Hanf enthaltenen Cannabinoide haben viele Vorteile, die man für seine Gesundheit nutzen kann. Das im Medizinischen Cannabis verwendete, höher dosierte Cannabidiol (CBD) beeinflusst das Endocannabinoid-System (ECS) im Körper. Es reguliert u.a.  Stimmungen und Schlaf, Appetit und Stoffwechsel und hat Einfluss auf das Immunsystem. CBD wirkt zudem schmerz- und angstlindernd, entkrampfend, antipsychotisch und entzündungshemmend.

THC hat eine starke psychoaktive Wirkung. Es beeinflusst die Rezeptoren und damit die Signalübertragung im ECS stark. Es berauscht, entspannt und kann Brechreiz dämpfen. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e. V. bezeichnet THC als den pharmakologisch wirksamsten Bestandteil der Hanfpflanze.

Beide Substanzen, CBD und THC, wirken antioxidativ und nervenschützend, aber auch bei jedem Menschen unterschiedlich. Deshalb wird Medizinisches Cannabis immer individuell und nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt verordnet.

Verzögerte Wirkung, Neben- und Wechselwirkungen

Medizinisches Cannabis braucht eine gewisse Anlaufzeit, bis es wirkt. Auch wird es häufig ergänzend zusammen mit anderen Medikamenten eingesetzt, was die genaue Einordnung der Wirkungen und Nebenwirkungen erschwert.

Zu den häufigsten bekannten Nebenwirkungen zählen schwache bis mäßige Schlaflosigkeit und Herzklopfen. Bei der Einnahme einer Zubereitung aus Cannabisvollextrakten über die Mundhöhle kann es zu Schwindel, Müdigkeit und Depressionen kommen. Allerdings eher in der Anfangsphase und abhängig von der Dosis.

Schwangere und Stillende sollten kein Cannabis nehmen. Auch bei bestehenden Psychosen, anderen schweren seelischen Problemen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Vorsicht geboten. Außerdem beeinflusst CBD selbst in freiverkäuflichen Hanfprodukten die Aktivität verschiedener Enzyme im Körper. Das kann die Wirkung bestimmter Medikamente verstärken oder abschwächen. Dazu zählen unter anderem:

  • Schmerzmittel (Diclofenac)
  • Säurehemmer (Pantoprazol und Omeprazol)
  • Gerinnungshemmer (Marcumar und Warfarin)
  • Neuroleptika (Risperidon, Haloperidol und Clobazam)

Darreichungsformen im Überblick

Cannabis mit synthetischen oder natürlichen Cannabis-Wirkstoffen gibt es in verschiedenen Formen und Applikationsmöglichkeiten. Hier die wichtigsten im Überblick:

Blüten und Dronabinol als Rezepturarzneimittel sowie Fertigarzneimittel mit Cannabis in pharmazeutischer Qualität sind in Deutschland grundsätzlich verschreibungspflichtig. Seit 2017 können schwerkranke Menschen mit chronischen Schmerzen diese Medikamente auf Rezept in der Apotheke bekommen. Die Kosten werden von den Krankenkassen unter Umständen übernommen, selbst wenn es im Einzelfall noch andere Behandlungsoptionen gibt.

Laut Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) darf der behandelnde Arzt seinen Patienten bis zu 100 Gramm Cannabis pro Monat in Form getrockneter Blüten verschreiben. Alternativ bis zu 1 Gramm – bezogen auf den Gehalt von Delta-9-Tetrahydrogencannabinol– als Extrakt in standardisierter pharmazeutischer Qualität.

Nicht verschreibungspflichtig sind Cannabis-Produkte mit einem verschwindend geringen Anteil THC (< 0,2 %). Sie enthalten vor allem CBD und gehören zur Kategorie der kosmetischen Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel. So gibt es Balsame und Öle mit Hanf, aber auch Spray, Kapseln und Tinkturen.

Geschichte und Pflanze

Geschichte einer Heilpflanze

Cannabis gehört zu den Hanfgewächsen und ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Schon vor 12.000 Jahren baute man sie in Persien und China als Getreide an. Aber auch als Heilmittel ist sie in Asien seit Jahrtausenden bekannt. In der ayurvedischen Medizin Indiens etwa schätzte man ihre schmerz- und angstlindernde Wirkung, legte Blätter auf Wunden und bereitete aus den Blüten berauschendes Räucherwerk zu.

Im 13. Jahrhundert kam Cannabis schließlich auf dem Seeweg nach Europa. Hier blieb die halluzinogene Wirkung der Pflanze zunächst unbeachtet. Aus dem damals dominierenden Faserhanf – Cannabis sativa – fertigte man vor allem Garne und Kleidung, Seile und Segeltuch sowie Papier für Schriftrollen und Bücher.

Vom Rohstoff zur Medizin

Ende des 18. Jahrhunderts kam der indische Hanf – Cannabis indica – nach Europa. Aus seinen Blüten stellte man wenig später auch in Deutschland Cannabis-Extrakte her, die durch ihre individuellen Wirkeigenschaften neue Therapiemöglichkeiten eröffneten.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann der irische Arzt William B. O’Shaughnessy, diese Inhaltsstoffe wissenschaftlich zu untersuchen. Auf dieser Grundlage wurde Cannabis schon bald in ganz Europa u.a. bei rheumatischen und neuropathischen Schmerzen, Menstruationsbeschwerden und in der Migräneprophylaxe eingesetzt.

Pharmaunternehmen stellten Cannabis-Extrakte und Tinkturen industriell her. Eine Standardisierung dieser Arzneien war jedoch schwierig, weil der Wirkstoffgehalt der Pflanze stark schwankte. Es kam zu unerwünschten Nebenwirkungen, weshalb sich der Einsatz im klinischen Bereich lange nicht durchsetzen konnte. Nichtsdestotrotz wurden Cannabis-haltige Mittel im 19. Jahrhundert am häufigsten verordnet

Im 20. Jahrhundert verdrängten jedoch synthetisch hergestellte Arzneimittel das natürliche Heilmittel aus der Schmerztherapie.

Verbot und Legalisierung

Auf der Opiumkonferenz 1925 stellte man Cannabis schließlich den Opiaten gleich. Damit wurde der Cannabiskonsum in Deutschland ab 1930 illegal und war fortan nur noch zu medizinischen Zwecken erlaubt. Zementiert wurde dieses Verbot 1971 durch die Überführung des Opiumgesetzes in das Betäubungsmittelgesetz.

Auch aktuell darf Cannabis von pharmazeutischer Qualität (Medizinisches Cannabis) nur in Ausnahmefällen zur Selbsttherapie unter ärztlicher Begleitung und bei bestimmten Krankheitsbildern beantragt werden. Seit 2017 können schwerkranke Menschen mit chronischen Schmerzen diese Medikamente auf Rezept in der Apotheke bekommen. Die Kosten werden von den Krankenkassen unter Umständen übernommen, selbst wenn es im Einzelfall noch andere Behandlungsoptionen gibt.

Die aktuelle Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP plant eine Legalisierung des Cannabiskonsums. Ziel ist es, den Schwarzmarkt auszutrocknen und zu verhindern, dass verunreinigte Ware in Umlauf kommt. Ob diese Pläne mit den Regelungen der Europäischen Union vereinbar sind, steht noch nicht fest. Erst nach der Prüfung auf EU-Ebene würde man ein Gesetz ins Parlament einbringen. Fände sich dafür eine Mehrheit, würde Cannabis rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel gelten.

Anbau und Qualität – reguliert und kontrolliert

Aus botanischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen „Bauernhanf“ – Cannabis sativa – und der indischen Variante. Deren weibliche Gewächse liefern jedoch die meisten Inhaltsstoffe mit dem höchsten Gehalt für die Herstellung von Medizinisches Cannabis. Bis zu 100 Cannabinoide und Terpenoide kann man aus ihren Blüten und Extrakten gewinnen. Zu den wichtigsten und bekanntesten gehören Delta-9-Tetrahydrogencannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Wegen ihrer starken Wirkung, vor allem des THC, auf Körper und Psyche wird der Anbau in der EU streng überwacht und reguliert.

Selbst Hersteller und Händler von Arzneimitteln aus Medizinisches Cannabis brauchen dafür in Deutschland eine Sondergenehmigung. Zuständig dafür ist die Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Sie kontrolliert auch die Qualität der Inhaltsstoffe und die der Importe aus anderen Ländern.

Selektion weiblicher Blüten

Eingeführt werden vor allem Cannabisblüten, aber auch fertige Zubereitungen mit wirksamen Extrakten der Pflanze. Die Blüten produzieren in ihren drüsenartigen Strukturen die wirksamen Cannabinoide und Terpenoide. Befruchtet werden die weiblichen Pflanzen von den Pollen der männlichen. Dabei bilden sie Samen, die den Grundstein für die nächste Generation bilden. Unterbindet man diesen Prozess, wachsen stattdessen samenlose Blütenstände, aus denen man Medizinisches Cannabis gewinnt. Die männlichen Pflanzen werden deshalb aus der Anbaufläche entfernt, sobald man ihr Geschlecht bestimmt hat.

Es wird zunehmend verstanden, dass Cannabis ein sehr interessantes und vielseitiges Medikament ist, das viel weniger toxisch ist als einige der pharmazeutischen Produkte, die es ersetzt.

Dr. Lester Grinspoon
Associate Professor Emeritus für Psychiatrie MD Harvard